Robert beim Clickball Worldcup in China

Robert in China – ein kleiner Reise- und Turnierbericht

Dienstag, 6. November, 17 Uhr 45, Helsinki: Ich besteige meine Maschine nach Nanjing und bin erstmal gefühlten hundertzwanzig Dezibel, erzeugt vom Stimmengewirr von vielleicht 200 Chinesen, ausgesetzt. Das kann ja ein heiterer Flug werden, denke ich, und grinse trotzdem wie Bolle in Vorfreude auf den Trip, der vor mir steht: Ich wurde eingeladen, Deutschland beim Ping Pong World Cup in Zhenjiang (ungefähr gesprochen Dschennschiang mit hessischem Einschlag beim sch) zu vertreten. Die Maschine hebt ab, und es zeigt sich, dass es nur das Anfangsgetümmel war und ich ruhige neun Stunden vor mir habe. Das Essen im Flieger schmeckt hervorragend, der Rotwein zum Müdewerden ist inklusive. Ich gucke aus dem Fenster und träume ein Bisschen beim Sterneschauen vor mich hin, doch der heiß ersehnte Schlaf legt sich nicht über mich. Sieben Stunden wird die Uhr nach vorn gestellt, das heißt wenn ich deutscher Zeit um zwei ankomme, ist es in China schon um 9. Naja, dann halt kein Schlaf, sondern Sean Connery gegen Schmugglerbösewichte… James Bond: Goldfinger.

Sibirien und die Mongolei unter mir liegen lassend, geht’s rein ins Reich der Mitte. Ich passiere eine unglaublich seltsame Schleuse am Flughafen, die mir angeblich ansieht, ob ich an einer Infektionskrankheit leide und begegne kurze Zeit später meinem Chauffeur für den Weg ins Hotel. Nach vergeblichem Versuch, seinen einsilbigen Namen ansatzweise korrekt auszusprechen („Okay… just call me Li“), kommen wir dann doch noch ziemlich gut ins Gespräch und ich erweitere meinen chinesischen Wortschatz auf das Doppelte. Nachdem er für mich (also um mich noch zur Rezeption zu begleiten) erstmal direkt vorm Hotel jemand anderen volle Kanne zugeparkt hatte, hieß es zwischen uns zhai jien und ich bezog mein fettes Zimmer im 20. Stock mit Blick über die City. Ich schaffte es noch unter die Dusche und fiel erstmal tot ins Bett.

Beim Mittagessen im Hotel traf ich dann direkt Wang Shibo und Huang Jungang, die beiden amtierenden WM-Finalisten. Die machten trotz unüberwindbarer Sprachbarriere erstmal nen sehr netten Eindruck. Zu sich an den Tisch luden sie mich zwar nicht ein, aber nach fünf Minuten wiesen sie die Kellnerin gleich mal an, mir doch ne Gabel zu bringen. Schade, ich fand meine Stäbchenessversuche eigentlich ganz gelungen, aber auf die beiden muss das ganze wohl ein eher klägliches Bild abgegeben haben. Das hielt mich jedoch nicht davon ab, mir das Büffet munden zu lassen, was auch fleischlos unglaublich vielfältig und lecker war. Nur das ständige Gefühl des Beobachtetwerdens trübte die Situation etwas, aber ans Beobachtetwerden hat man sich in China ja auch als Chinese ja heutzutage leider zu gewöhnen.

Zweiter Abend hier! Gestern wurde mir noch gesagt, dass wir die Möglichkeit haben, im „Tischtennisraum“ des Hotels zu trainieren. Der entpuppte sich dann als Halle mit rotem Boden, zwei blauen DHS-Tischen in riesigen Boxen und Porträts von Liu Guoliang bis Xu Xin an der Wand. Erste Feststellung dort: Die Schläger sind ne Katastrophe. Mit den Schlägern von der WM, behaupte ich, habe ich gegen jeden hier ne Chance. Gegen Alex hab ich in der Vorbereitung bestimmt 25-30 Prozent der Matches gewonnen. Unsere Bilanz hier: 0:10 Sätze. Naja, etwas wird es von Mal zu Mal und ich bin nicht der Einzige, der abkotzt. Neben den drei Trainingseinheiten gab’s zwei Highlights im Einkaufszentrum (in der übrigens auch ein Tischtennistisch steht): Wie Alex und ich da so durchspazieren, spricht uns eine junge Frau, wir verstehen natürlich nichts. Dann zückt sie ihr Telefon, wählt, sagt drei vier Worte und drückt es mir in die Hand. Ihre englischsprechende Freundin versucht dann stellvertretend, meine Nummer zu bekommen, damit wir uns zum Essen verabreden. Ich hoffe, meine Verwunderung stand mir nicht allzu sehr ins Gesicht geschrieben. Abends waren wir drei Deutschen, also zusätzlich noch Dwain, der gegen Mittag ankam, noch in der Gamezone in der Einkaufshalle. Die völlige Reizüberflutung, sozusagen der Brainfuck, blieb leider aus, da die Hälfte der Automaten außer Betrieb war, das elektronische Angebot ging war trotzdem absolut vielfältig und ging von tanzen und Klavier spielen über Motorrad fahren, Aliens abschießen und sich mit Wasserpistolen gegen Zombies verteidigen bis hin zu ganz real Körbe werfen.

Fünf Nächte und vier Tage später: Ich sitze im verspäteten Flieger und fliege über den roten Riesen. Es kam kaum mehr ein Moment auf, in dem ich mich mal zurücklehnen und schreiben konnte. Aber von vorne:

Freitag früh Transfer ins staatliche Hotel von Zhenjiang. Luxuriöse Hotelzimmer gehören ja eher weniger zu meinen üblichen Aufenthaltsorten, daher war ich in meinem ersten Zimmer schon ziemlich geflasht, aber hier wurde nochmal einer draufgesetzt – ein regelrechter Palast. Nach dem unglaublich guten Mittagessen ging’s zum Training in die Wettkampfhalle. Größenordnung Arena Leipzig, gerade wurde für die Eröffnungsfeier geprobt – ich hatte jetzt schon barbarisch Gänsehaut. Beim Training dann außer gegen meinen Finalgegner Dwain dann mal wieder keinen Satz gewonnen. Fünf Stunden danach dann noch ne halbe Stunde Abschlusstraining am Abend, für die Feier wurde immer noch geprobt.

Matchday! Wir steigen aus dem Shuttlebus an der Halle aus und werden erstmal von einer 11-köpfigen Gruppe junger Erwachsener empfangen – jeder bekommt einen persönlichen Helfer zur Seite gestellt. Deren unglaublich dienerhaftes Verhalten war schon ziemlich befremdlich, man wurde quasi auf Schritt und Tritt verfolgt. Dann Einspielen, dann Eröffnungsfeier. Zwei Gruppen von Tänzern (bzw. überwiegend Tänzerinnen) zu chinesischem Discopop und die Vorstellung der Spieler. Jeder mit nem Einlaufkind an der Hand, denen fünf Minuten lang vorher strengstens eingeschärft wurde, die ganze Zeit über über beide Ohren zu grinsen. Wäre vielleicht aber gar nicht nötig gewesen, die haben sich eh die ganze Zeit unglaublich gefreut. Apropos: In Zhenjiang tat das ungefähr jede und jeder, in deren oder dessen Blickfeld man als Weißer fällt, was einem ein Gefühl irgendwo zwischen Star und Freak vermittelt.

Doch genug Vorgeplänkel: Ran die Tische! Vierergruppen, drei Gewinnsätze, die ersten beiden kommen weiter. Die Losfee war, so man das in dem hochkarätig besetzen Feld sagen kann, gnädig mit mir. Erster Gegner: Der topgesetzte dreimalige Weltmeister Maxim Shmyrev aus Russland. In einem Spiel, in dem wir uns beide offensichtlich sehr unwohl fühlten und mir außer einem parallelen Coltschen Vorhand-Hüftschuss aus der tiefen Rückhand nicht viel gelang, unterlag ich relativ deutlich mit 0:3 und kam in den einzelnen Sätzen auf irgendwas um 12, 9 und 11 Punkte.

Mein zweites Spiel bestritt ich gegen den Briten Matt Ware, der bei der letzten Weltmeisterschaft mit einem 2:0-Sieg über Richard Gonzales und einer anschließenden knappen 1:2-Niederlage gegen den zweifachen Weltmeister Baggaley in der ersten K.o.-Runde hatte aufhorchen lassen. Wer sich im Clickball-Zirkus auskennt, der weiß, dass ein Gonzales-Bezwinger gegen Abwehr nicht die größten Probleme haben kann. Aber mit dem extrem rauhen Sandpapier des neuen Schlägers geht jeder feste Ball erstmal zwei Meter übern Tisch. So grub ich mich dann also einfach genau dort ein und gewann die ersten zwei Sätze relativ deutlich. Dank seiner taktischen Umstellung – er spielte mir jetzt mehr über Mitte – konnte er den dritten Durchgang für sich entscheiden. Ich behielt im Vierten mein grundsätzliches Spielkonzept bei und griff dann aber auch mal aus der Defensive an. Mit etwas Glück behielt ich mit 15:12 die Oberhand und fuhr den Sieg ein.

Auf das, was danach geschah, war ich nicht vorbereitet. Doch dazu muss ich erstmal ein bisschen ausholen. Das Interesse der Menschen aus Zhenjiang am Turnier war, vorsichtig ausgedrückt, verhalten. In Erwartung dessen wurden also Schulklassen abkommandiert, in der Halle für ein bisschen Atmosphäre zu sorgen. Man spielte also vor 20 freiwilligen Zuschauern, von denen mindestens die Hälfte zu den Turniersponsoren gehörte, und vielleicht so 500 Jugendlichen. Mit meiner emotionalen Art am Tisch merkte ich im zweiten Spiel schon, dass ich ein paar davon auf meine Seite gezogen hatte (gejubelt wurde aus dem Publikum – mit kurzer Zeitverzögerung – genau dann, wenn ich selbst einen Punktgewinn lautstark zelebrierte). Nachdem ich dann zum 3:1 abgedichtet hatte, umringte mich plötzlich eine Traube mehrerer Dutzend Jugendlicher, die mich um mein Signum auf diverse Schläger, Bälle, Handyhüllen, Handys und Schmierzettel baten, und obendrein noch meine Nummer. Erstere gewährte ich und zog mich in die Mittagspause zurück.

Anschließend waren die Schulklassen verschwunden und die Atmosphäre eher gespenstisch. Da zuvor Shmyrev gegen Chris Doran eine 2:0-Satzführung noch aus der Hand gegeben hatte, benötigte ich gegen den bulligen Zweimeterdrei- und Hundersiebenundreißigkilogramm-Briten jetzt zum Weiterkommen einen 3:0 Sieg. Da er im Spiel zuvor gegen den ebenfalls auf Abwehr umstellenden Shmyrev recht gut aussah, versuchte ich es mit meinem geliebten Haudraufstil und einer dem Schläger leicht angepasster Technik. Das funktionierte garnicht mal so schlecht und Doran war seine Ratlosigkeit in meinen guten Phasen durchaus anzusehen. Leider verlor ich den ersten Satz gleich mit 13:15. Dann war die Luft etwas raus und ich ging im zweiten Satz mit 6:15 unter. Der dritte lief dann ähnlich wie der erste, 12:15, zu viele eigene Fehler. Ich war also mit 1:2 Spielen ausgeschieden. Ziemlich schade zwar, aber auf Grund des Schlägers hatte ich sogar schlimmeres befürchtet. Jener Worst Case trat dann leider für Dwain ein, der mit seinem Stil kaum einen Ball auf den Tisch brachte und keinen Satz gewinnen konnte.

Besser machte es Alex. In seiner Gruppe hinter Baggaley Zweiter, kam er am zweiten Tag von Spiel zu Spiel besser in seinen Rhythmus. Im Viertelfinale besiegte er Chris Doran sicher mit 3:0, im Halbfinale wartete wieder Baggaley. Nach 2:0 und 6:1 für Alex drohte das Spiel zu kippen, als sich Baggaley den Satz klaute. Doch viel Willensstärke und eine nicht vernachlässigbare Portion Glück obsiegten gegen die merkbar aufkeimende Nervosität und verhalfen Alex, den hart umkämpften vierten Satz abzudichten und den Finaleinzug perfekt zu machen. Hier wartete völlig überraschend die einzige Frau im Teilnehmerfeld: Chen Jie aus China. Diese gehörte eigentlich überhaupt nicht zum Favoritenkreis, ihrem Penholder-Rückhand-Abstechblock-Stil kam der neue Schläger aber extrem zupass, und auch auf der Vorhand hatte sie durch ihren extrem frühen Balltreffpunkt keine Schwierigkeiten. Das Finale war dann aber eine klare Angelegenheit: mit 3:0 musste sie Flash gratulieren, der damit endlich seinen heiß ersehnten ersten internationalen Clickball-Titel einfahren konnte.

Den sonntäglichen Abend ging’s dann ins k-tv: Hier kann man sich nen privaten Karaokeraum nehmen. In versammelter europäischer Truppe gaben wir uns gegenseitig Hits von Lionel Richie bis Eminem zum Besten. Insbesondere Halbfinalist Baggaley war bei u2 und Take that voll in seinem Element, was nicht nur an seiner wirklich engelsgleichen Stimme lag, sondern auch seiner sonst eher vom Tisch bekannten ekstatischen Mimik anzusehen war. Großes Kino!

Montagfrüh flogen dann alle bis auf Dwain und mich wieder zurück. Wir wechselten nochmal in ein etwas günstigeres Hotel und schauten uns das nahegelegene Suzhou an. Als Dwain mir gegenüber im Restaurant in Suzhou schweißtriefend sein mittelscharfes Hähnchen verspeiste, schrieb mir Li, besagter Chauffeur vom ersten Tag, was wir abends so vorhaben. Er kenne da ne coole Bar. Also wieder mit dem Zug zurück nach Zhenjiang und ab in den Abend – Gan bei bei Dünnbier, richtig schäbigem Reisschnaps und chinesischen Würfelspielen.

Den halben Dienstag schauten wir uns nochmal Zhenjiang an, tranken Bubbletea-Gesöff zu Fastfood am Spieß. Dwain trat am Nachmittag die Heimreise an, Li und ich ließen uns es noch bei der Massage gutgehen. Beziehungsweise ließ es sich Li gutgehen und ich wurde malträtiert… siehe Foto.

Schlussendlich war es eine großartige Woche reich an verschiedensten Eindrücken. Dauerhaft im Kopf bleiben werden mir neben den geschilderten Ereignissen der sehr respektvolle, freundliche und herzliche Umgang der Chinesen und ihr Mut zum Freestyle im Straßenverkehr. Clickballtechnisch wartet am letzten Januarwochenende dann schon das nächste Highlight – die WM in London, bei der ich auch wieder Deutschland und den TTC vertreten werde…

Yankee